Totgesagte leben bekanntlich länger und deshalb stimmt die Aussage „Lastschrift lebt“ auch in diesem Jahr noch immer. Trotz der Ende 2015 erfolgten Regulierung der Interbankenentgelte bei Kartenzahlungen wächst der Umsatz im bankunabhängigen, elektronischen Lastschriftverfahren (ELV) auch in 2016 um 3,1 Prozent auf knapp 76 Mrd. Euro. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle „Kartenmarktstatistik Deutschland“ der Unternehmensberatung Paysys Consultancy.
Die Zahlungsverkehrsexperten kritisieren die Statistik der Bundesbank und andere Zahlen, die im Markt kursieren, scharf.
Laut Paysys stieg der Umsatz mit Zahlungskarten in Deutschland im vergangenen Jahr um fast 13 Mrd. Euro auf 328 Mrd. Euro, was einem Plus von 4,1 Prozent entspricht. Darin berücksichtigt sind die Kartenumsätze, die in Deutschland von in- und ausländischen Karteninhabern in sämtlichen Branchen an stationären Ladenkassen und im Distanzhandel getätigt wurden. Im Gegensatz zu den Zahlen des EHI Retail Institute zu bargeldlosen Zahlungen beschränkt sich die Paysys-Kartenstatistik nicht auf den Einzelhandel.
Die Wachstumstreiber 2016 waren laut Paysys die Kreditkarten (Mastercard, Visa u.a.) mit einem Plus von 6,2 Prozent und die Debitkarten (insbesondere ec cash, ELV) mit 3,9 Prozent. „Bereits im Vorjahr 2015 machte sich im Kreditkartenbereich die von der EU verordnete Preisregulierung der sogenannte Interchange Fee, die Ende 2015 in Kraft trat, bemerkbar“, heißt es in der Pressemitteilung zur Studie.
Die Interchange Fee- oder Interbankenentgelt-Verordnung (MIF-VO) führte zu erheblichen Preissenkungen für die Kreditkartenakzeptanz auf der Händlerseite und damit zu einer spürbaren Ausdehnung der Kreditkartenakzeptanz (z. B. bei Discountern wie Aldi und Lidl).
Debit- und Kredit wachsen im gleichen Tempo
„Es ist bemerkenswert, dass in Deutschland das durchschnittliche jährliche Wachstum von Debitkartenumsätzen (CAGR 6,1%), über eine längere Periode (2011-2016) betrachtet, fast identisch mit dem Wachstum im Kreditkartenbereich (CAGR 6,3%) ist“, bilanzieren die Experten von Paysys.
Meine Wenigkeit findet es darüber hinaus erstaunlich, dass sich das ELV-Verfahren mit Unterschrift statt PIN-Eingabe trotz der MIF-VO weiterhin so gut im Markt behauptet. Auf max. 0,2 Prozent vom Umsatz wurde das Interbankentgelt für Girocard-Zahlungen reguliert. Offenbar managen die EC-Cash-Netzbetreiber ihre Mischverfahren aus garantierten Girocard-Zahlungen mit PIN und lastschriftbasierten Zahlungen mit Unterschrift ohne Bankgarantie so kostengünstig, dass man bei den Händlergebühren weit unterhalb der 0,2 Prozent liegt. Klar, dass Tankstellen wie Aral, Jet Star schon vor Jahren (Aral: 2009) zur Unterschrift wechselten, spricht schon lange dafür – von Fixkosten von 4 Cent pro Transaktion munkelt man hier und da (und seit 2009). Dennoch erstaunlich, dass sich ELV so gut hält, da das Gehassel mit dem Belegmanagement für die Händler natürlich schon nervig ist und den ein oder anderen Keller füllt.
Capgemini mit falschen ELV-Zahlen
„Obwohl das sogenannte Elektronische Lastschriftverfahren (ELV) seit über 30 Jahren in Deutschland existiert, gibt es im Markt widersprüchliche Zahlen“, nimmt man bei Paysys verwundert zur Kenntnis. So habe Capgemini die Anzahl der kartenbasierten ELV-Transaktionen vor kurzem auf ca. 10 Mrd. Transaktionen taxiert. „Die offensichtliche Fehlermeldung beruhte auf der merkwürdigen Annahme, dass sämtliche Lastschriften durch ELV-Kartenzahlungen ausgelöst werden. Die unterschriftsbasierte ELV-Zahlung ist zwar beliebt und wächst, ist aber dem konkurrierenden EC Cash-Verfahren (girocard & PIN) weiterhin deutlich unterlegen. Auf Umsatzbasis beträgt das Verhältnis der Debitkartenverfahren ELV und ec cash seit Jahren unverändert ca. 1 zu 2“, so Paysys.
Statt der von Capgemini geschätzten 10 Mrd. betrage die Anzahl der ELV-Transaktionen „nur“ ca. 1,5 Mrd. Die Zahl beruht auf Angaben der EC Cash-Netzbetreiber, über die die ELV-Transaktionen vorwiegend abgewickelt werden. Der ELV-Umsatz stieg 2016 – wie oben erwähnt – um 3,2 Prozent auf fast 76 Mrd. Euro.
Bundesbank verwirrt
Aber selbst die von der Bundesbank operiert mit fragwürdigen Zahlen. Ihre seit kurzem veröffentlichten Daten zum ELV-Verfahren tragen eher zur Verwirrung bei. Seit 2014 soll laut Bundesbank der ELV-Umsatz von 119 Mrd. auf 94 Mrd. in 2016 gesunken sein (minus 21 Prozent), während die Netzbetreiber für diese Periode einen Anstieg von insgesamt fast 14 Prozent verzeichnen.
Dazu Paysys: „Bereits eine einfache Überlegung zeigt, dass die Entwicklung und diese Zahlen völlig unrealistisch sind. Eine Substitution des reduzierten ELV-Umsatzes (ca. 25 Mrd. Euro laut Bundesbank) durch Bargeld ist auszuschließen. Der Umfang der Bargeldzahlungen nimmt langsam, aber stetig ab.
Die eher theoretisch denkbare Option einer 100%-Substition von ELV durch EC Cash und Kreditkarten ist rechnerisch unmöglich, da in dieser Periode (2014-2016) der Zuwachs beider Kartentypen insgesamt „nur“ 20,8 Mrd. Euro beträgt. Dabei ist zu bedenken, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil des Kreditkartenwachstums im E-Commerce stattfand, während der angebliche ELV-Schwund sich auf Umsätze an der physischen Kasse im Handel bezieht. Die Zahlen der Bundesbank bedürfen weiterhin einer erheblichen Korrektur. Das in Deutschland beliebte ELV-Verfahren hat an Attraktivität keineswegs verloren.“
ELV wird sicher noch weiter wachsen: hat es doch in der neuen Zahlungsdiensterichtlinie mit der Rolle der „Card Based Payment Instruments Issuer” seine Rollendefinition gefunden. Außerdem wurde das Lastschriftsverfahren/SDD bei den komplizierten Sicherheitvorschriften begünstigt: das Initiieren eines SDDs benötigt keine „strong customer authentication“. Last but not least wird sich das Risikomanagement der Diensteanbieter verbessern können, sind doch nun die kontoführenden Banken gezwungen, eine kostenlose Statusmessage (availability of funds) zu senden. Und zusätzlich bieten auch immer mehr kontoführende Banken online-Schnittstellen für das Elektronische SDD-Mandat an. Happy times are near!
Ich sehe das wie Robert. Wer den Artikel 67 PSD II und den neuen Paragraphen 675t des BGB studiert hat, muss zu dem Eindruck kommen, das es neben den lautstark agierenden FinTechs und dem Finanzamt, das als AIS ohne explicit consent des PSU fungiert, noch einen dritten Gewinner gibt: den deutschen Einzelhandel, der mit o.g. Regelung die Lebensdauer von ELV um mindestens 10 Jahre verlängert hat. Dafür spricht auch, das eines der unsichersten und unregulierten Verfahren, nämlich ELV, komplett von der Regulierungswut der PSD II ausgenommen ist.