Das EuGH-Urteil zum Rechtsstreit zwischen der Deutschen Bahn und dem österreichischen „Verein für Konsumenteninformationen“ (VKI) hat hohe Wellen geschlagen – und das ist auch gut so. Auf den ersten Blick bedeutet es das Ende der Online-Lastschrift in Europa. Doch es gibt vielleicht eine Hintertür, durch die sich das drittbeliebteste Internet-Zahlverfahren – mal wieder – retten könnte.
ICYMI / Was bisher geschah
Im Mai hatte ich hier über das Votum des Generalanwalts am EuGH zu dem Rechtstreit berichtet. Es geht in dem Verfahren um die Frage, ob die Bahn Internet-Kunden aufgrund ihres Wohnsitzes in Österreich die Zahlung per Lastschrift verweigern darf. Der EuGH ist vergangenen Donnerstag – wie befürchtet – der Auffassung des Generalanwalts (GA) gefolgt: „Die Möglichkeit, per SEPA-Lastschrift zu zahlen, darf nicht von einem Wohnsitz im Inland abhängig gemacht werden“, so der Kernsatz des Urteils.
Die Aussagen des Urteils:
Der EuGH hat damit die sogenannte IBAN-Diskriminierung aus der SEPA-Verordnung (genauer: Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 260/2012) auf Fälle erweitert in denen nicht an das Bankkonto, sondern an den Wohnsitz des Zahlers angeknüpft wird. Darüber hinaus hat der EuGH – wie zuvor auch schon der GA – das Argument der Bahn verworfen, die Geoblocking-VO erlaube eine Ausnahme von der SEPA-VO (Rz. 37 ff.).
„Die Deutsche Bahn macht zudem geltend, dass ein Wohnsitzerfordernis … durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Bonität der Zahler zu prüfen, da das Missbrauchs‑ und Zahlungsausfallsrisiko besonders hoch sei, …“. Für eine solche Ausnahme lasse die SEPA-Verordnung jedoch keinen Raum, so die Richter.
Hierzu meint das Gericht befremdlich realitätsfern: „Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, hindert einen Zahlungsempfänger jedenfalls nichts daran, das Missbrauchs‑ oder Zahlungsausfallsrisiko zu verringern, indem er z. B. die Fahrkarten erst liefert bzw. deren Ausdruck ermöglicht, nachdem er die Bestätigung über den tatsächlichen Einzug der Zahlung erhalten hat.“ (Rz. 39)
Die Konsequenz des Urteils
In einer „ersten panischen und dann journalistisch aufgesexten Einschätzung“ hatte ich im „Update“ zum damaligen Blogpost geschrieben, das Urteil markiere das „Ende der Online-Lastschrift in Europa“.
Denn: Die Geoblocking-VO verdonnert Onlinehändler dazu, ihre Angebot unterschiedslos in ganz Europa anzubieten (Digitaler Binnenmarkt). Die SEPA-VO verlangt zugleich, wer Lastschriften anbietet, muss dies ebenfalls unterschiedslos in ganz Europa tun (einheitlicher Zahlungsverkehrsraum als Teil des Binnenmarktes). Die Ausnahmen, die die Geoblocking-VO für die Zahlverfahren im Webshop vorsieht (zB: nur Zahlverfahren mit Zwei-Faktor-Autorisierung, etc.) werden nach dem Urteil des EuGH von der SEPA-VO überlagert. Eine europaweite Bonitätsprüfung wie sie bei Online-Lastschriften im Vorfeld üblich und erforderlich ist, ist jedoch für ganz Europa nicht machbar. Die Deutsche Bahn hatte im Verfahren beispielsweise eingewandt, schon in Österreich sei eine Bonitätsprüfung des Kunden 15-mal so teuer wie in Deutschland.
Die Reaktionen auf das Urteil
Mit der Bewertung stehe ich nicht ganz allein auf weiter Flur: Der Bundesverband eCommerce und Versandhandel (bevh) etwa sieht es ähnlich: „Der EuGH hat mit dem Urteil also keinerlei Verbesserung für den Crossborder-Onlinehandel erreicht, sondern lediglich die Prozesse im Onlinehandel unnötig erschwert. Online-Zahlungen mit der Kreditkarte werden schon bald durch die erforderliche Zwei-Faktor-Authentifizierung für Kunden und Händler aufwändiger. Zusätzlich wird es nun unmöglich, auf die beliebte Online-Lastschrift auszuweichen. Das ist ein Bärendienst für den Onlinehandel.“
Das Handelsblatt hat die Diskussion zum Urteil und den Folgen für die Online-Lastschrift hier sehr gut zusammengefasst. Auch der Newsletter „Finanz-Szene.de“ (Pflichtlektüre für die Bankwelt) fragt „Aus für die Online-Lastschrift?“. Bei den „digital pioneers“ von t3n formuliert eCommerce-Fuchs Jochen G. Fuchs bereits einen Nachruf unter dem Titel „Auf Wiedersehen Lastschrift, es war schön mit Dir„. Alle drei Beiträge zitieren aus dem aktualisierten BargeldlosBlog-Beitrag zum Votum des GA, wie ich aus Gründen des Eigenmarketings nicht verschweigen mag. 🙂
Von der Deutschen Bahn heißt es einer Stellungnahme zum Urteil: „Da das EuGH-Urteil für alle Unternehmen gilt, werden die Auswirkungen den gesamten Online-Handel betreffen. Wir schauen uns genau an, was das Urteil für uns und unsere Kunden bedeutet. Wir wollen natürlich weiterhin kundenfreundliche Zahlungsmöglichkeiten im Internet anbieten“, betont eine Sprecherin auf Anfrage. Die Verbraucherschützer vom VKI schweigen noch zur Anfrage, ob sie sich bewusst waren, welchen Schaden ihre Klage angerichtet hat bzw., ob dies ihre Absicht war.*
Der Rettungsversuch nach dem Urteil
Interessant nun, was HDE-Zahlungsverkehrsexperte Ulrich Binnebößel zum Urteil twittert bzw. zu sagen hat: „Erstmal die Kirche im Dorf lassen. Es wurde geurteilt, dass die Online-Lastschrift nicht nur am Wohnsitz-Land hängen darf. Die Ablehnung nach Risikoabwägung steht nicht in Frage. Aber das Urteil trägt zur Unsicherheit erheblich bei, soviel ist klar. Es stellen sich Folgefragen“.
Der EuGH habe schließlich nicht geurteilt, dass es Onlinehändler verboten ist, Lastschriften aufgrund mangelnder Bonität oder zu hohen Risikos abzulehnen. Er hat nur gesagt, der Wohnsitz (im EU-Ausland) darf nicht das alleinige Merkmal für eine Ablehnung sein, erläutert Binnebößel im Gespräch.
Können Händler also einfach weitere Kriterien hinzufügen (Warenkorbzusammensetzung, Erstbestellung, Kaufhistorie, Kaufbetrag, etc.) und auf diese Weise weiterhin Lastschriften zum gewohnten Kosten/Risiko-Verhältnis anbieten? Inwieweit und gegenüber wem müssen Onlinehändler ihre Scoringsysteme gegebenenfalls offenlegen, um sich vom Vorwurf einer (verdeckten) IBAN-Diskriminierung zu exkulpieren?
Binnebößel schlägt vor, dass sich das „Forum Zahlungsverkehr“, ein Nachfolgegremium des nationalen SEPA-Rats, mit der Angelegenheit befasst und eine Klarstellung verfasst. Das Forum besteht aus Vertreter des Bundesfinanzministeriums, der Bundesbank, der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) sowie der „lastschrifteinziehende Wirtschaft“ (sprich: Händler, Versicherer, Spendenorganisationen).
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Online-Lastschrift dem Tod von der Schippe springt. Schon bei der SEPA-Einführung konnte sie dem Sensenmann ein Schnippchen schlagen. Damals (2014) erzielte der SEPA-Rat den rettenden Konsens, Lastschriften auch weiterhin ohne schriftliches Mandat zu ermöglichen.
Und erst kürzlich rettete die BaFin die Online-Lastschrift bekanntlich vor dem schmerzhaften Tod durch die Zwei-Faktor-Autorisierung, indem sie eine Klarstellung zu den EBA FAQs veröffentlichte. Auch hierzu gab es einen Blogbeitrag mit „rettendem“ Update.
Bleiben, wenn ich richtig gezählt habe und Ulrich Binnebößel am Ende Recht bekommt, noch vier Leben für die Online-Lastschrift übrig.
In diesem Sinne: Lange schallt´s im Walde noch: Die Lastschrift, sie lebe hoch und lang.
* Inzwischen gibt es eine ausführliche Antwort des VKI, die ich gerne nachreiche: „Das Urteil des EuGH stärkt daher den integrierten europäischen Zahlungsverkehrsmarkt“, führt Jochachim Kogelmann aus dem Bereich Recht aus. Man habe das Verfahren aufgrund zahlreicher Verbraucherbeschwerden eingeleitet. „Aus verbraucherschutzrechtlicher Sicht trägt die Einhaltung dieser europarechtlichen Rechtsvorschriften (Anmerkung: der SEPA-VO) wesentlich zu einem fairen und funktionierenden Zahlungsverkehrsmarkt bei, denn Unternehmer dürfen nicht europarechtlich zwingende Rechtsvorschriften umgehen und dadurch Verbraucher gröblich benachteiligen. Aus Sicht des VKI stellt das nun vorliegende Urteil eine positive Entscheidung im Sinne eines unkomplizierten grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs in der Europäischen Union dar.“
Desweiteren hat sich Peter Breun-Goerke, Geschäftsführer in der Wettbewerbszentrale, in einem Tweet der oben geäußerten Auffassung von Ulrich Binnebößel angeschlossen: „Ich sehe das ähnlich wie Herr Binnenbößel! Eine Ablehnung aus Gründen der Bonität hat der EuGH nicht verboten!“, kommentiert einer der Väter der SEPA-Beschwerdestelle seinen Retweet zu diesem Blogpost.
Auch Miriam Wohlfahrt hat mit dem Richterspruch kein Problem: „Wir lehnen die Zahlung per Lastschrift nicht aufgrund der IBAN oder des Wohnsitzes ab. Unser Risikomangament beruht auf einer Vielzahl von Datenpunkten, daher ändert sich für uns nichts durch die Entscheidung“, so die Geschäftsführerin und Mitgründerin von RatePAY (Otto, AboutYou, Foodist). Dennoch wundert sich Wohlfahrt über die praxisferne der Luxemburger Richter: „Der Händler soll die Ware erst nach Zahlungseingang verschicken. Das geht doch in der Praxis gar nicht“, kritisiert die Paymentexpertin.