Frühstückslektüre heute: „Milliarden-Schadenersatzklage gegen Mastercard“. So übertiteln Handelsblatt und Spiegel Online eine Agenturmeldung – und dem folgt dann wohl auch der ganze Rest der Journaille. 16,7 Mrd. Euro Schadenersatz verlangt den Berichten zufolge eine US-Kanzlei vor einem Londoner Gericht von der Kreditkartenorganisation.
Es soll die größte Schadenersatzklage sein, die jemals in Großbritannien anhängig gemacht wurde. Der Haken: Es handelt sich um eine Sammelklage für britische Verbraucher. Mehr als die heutigen Schlagzeilen wird von der Klage daher wohl auch nicht übrig bleiben.
Denn Verbraucher zahlen keine MIF-Gebühren (Multilateral Interchange Fees), die die EU-Kommission im Dezember 2007 für wettbewerbswidrig erklärte, was der Europäische Gerichtshof 2014 auf eine Klage von Mastercard hin bestätigte. Das umstrittene Interbankenentgelt zahlen Händler, Dienstleister, Restaurants und sonstige Kreditkartenakzeptanten. Inzwischen wurde die als wettbewerbswidrig angesehenen Gebühren auf 0,3 Prozent vom Umsatz bei Kreditkarten reguliert, mit Wirkung zum 9. Dezember 2015.
Ich kenne mich im englischen Case Law wirklich nicht aus, aber auch dort wird den Verbraucher ein kausaler Schaden durch die Kartellabsprachen entstanden sein müssen, bevor sie Schadenersatz bekommen. Das ist im vorliegenden Fall mehr als fraglich. Schon die Händler tun sich mit ihren Schadenersatzklagen in Sachen MIF gegen Mastercard und Visa schwer.
Gebühren an die Kunden weitergereicht?
Ende Juli sprach das Londoner Competition Appeal Tribunal (CAT) dem britischen Händler Sainsbury´s 82 Mio. Euro Schadenersatz gegen Mastercard zu. In dem Urteil hielt das Gericht aber sehr zur Freude von MC fest, dass die kartellbedingt überhöhten Preise nicht an die Kunden weitergereicht wurden. Die Stellungnahme von Mastercard zum Urteil damals:
„While we are disappointed to see liability as part of the finding, we note that in awarding a limited portion of the claimed damages, the court concluded that Sainsbury’s did not pass through interchange costs to consumers in the form of higher prices„.
Man wird bei Mastercard schon damals gewusst haben, warum man diesen Punkt betont. Die Verbraucher, als allenfalls mittelbar Geschädigte der Kreditkartengebühren, werden es nicht auch zuletzt wegen dieses Richterspruchs also sehr schwer haben, einen eigenen Schaden nachzuweisen. Mastercard hätte ansonsten in dem Verfahren einwenden können, Sainsbury´s hätte keinen finanziellen Einbußen erlitten, weil die höheren Gebühren an die Kunden weitergegeben wurden („Passing on defence“ – ein Klassiker in Kartellschadensfällen).
Habt Ihr einen Schaden?
Die eifrigen Sammelkläger der Verbrauchersammelklage, die völlig interessenfrei auch gleich die Presse über die Klageerhebung informierten, müssten für jeden Händler nachweisen, dass die kartellbedingt überhöhten Kreditkartengebühren zu Preiserhöhungen bei den Endverkaufspreisen geführt haben.
Die EU-Kartellschadenersatz-Richtlinie, die es mittelbar Kartellgeschädigten künftig erleichtern wird, ihre Schäden geltend zu machen, gilt mangels umsetzung auch in UK noch nicht. Sie wird auch keine Vorauswirkung auf dieses Verfahren haben, weil es dabei um materiell-rechtliche Fragen geht. (Keine Ahnung ob das auch auf der Insel so gilt, aber hierzulande ist das herrschende Meinung).
Wer verlangt was von wem woraus – und wie viele seid ihr?
Neben der Frage eines Schadeneintritts beim Verbraucher stellt sich für mich auch die Frage der Aktivlegitimation. 43 Mio. Briten sollen von der Klage profitieren können, heißt es in den heutigen Presseberichten. Ich kenne die Verfahrensregeln auf der Insel nicht, aber irgendwie wird man als Verbraucher doch per „opt in“ oder irgendwie anderes mitwirken dürfen, bei einem Verfahren in dem es um die eigenen Rechte gehen soll. Vielleicht habe ich ja viel mehr mit Kreditkarten bezahlt als die anderen Kinder und will mich gar nicht mit dem 43-Mio.stel von 16,7 Mrd. Euro abspeisen lassen. „Sie (Anm. d. Verf.: die Kanzlei) vertritt nach eigener Aussage 46 Millionen britische Verbraucher“, liest man beim Handelsblatt. Haben die wirklich schon 43 Mio. Vollmachten eingesammelt oder möchten die nur gerne 43 Mio. Kläger vertreten? Die Summe von 11 Mrd. Pfund scheint doch irgendwie ein wenig aus der Luft gegriffen. (Kartenumsatz in UK von 2008 bis 2016 * 0,X – „Schreibt mal 16,7 Mrd rein, das gibt schöne Schlagzeilen und eine nette Kostennote). „Größte Schadenersatzklage in der Geschichte Großbritanniens“ macht natürlich etwas her.
Schadensberechnung für Milchmädchen
Zugestanden ist allerdings, dass die Schadensberechnung durch die europäische MIF-Regulierung recht einfach geworden ist. Gebühren über 0,3 Prozent vom Umsatz waren rechtswidrig, da kommt schön was zusammen. Und auf die Kreditkartenorganisationen Mastercard und Visa kommt noch einiges zu in Sachen MIF-Schadenersatz. „There are over 1 000 claimants in this action, belonging to six large corporate groups“, schreibt das CAT jüngst im Fall Mastercard ./. Deutsche Bahn u.a. in einen Beschluss. Über die Klagen von Metro, Deutsche Bahn und Co. müssen sich Mastercard und die MC-Aktionäre Sorgen machen (siehe auch hier). Nicht über die Schlagzeilen der Wirtschaftspresse von heute.