Vor ziemlich genau einem Jahr berichtete die Fachzeitung „Bild am Sonntag“ über eine bevorstehende „Milliarden-Klage“ der US-Kanzlei Hausfeld gegen die deutschen Banken wegen angeblich überhöher Girocard-Gebühren.
Inzwischen ist eine erste Schadenersatzklage gegen die Spitzenverbände der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) von Hausfeld eingereicht worden, weitere stehen bevor, wie die Lebensmittel Zeitung berichtet. Zudem ist laut LZ auch eine andere Kanzlei in der Sache für mehrere Handelsunternehmen aktiv und steht kurz davor, ebenfalls Klagen einzureichen.
Sportjournalisten würden sagen „ausgerechnet“. Ausgerechnet eine Tankstellenkette ist der erste Kartenakzeptant, der Schadenersatzforderungen wegen überhöhter Girocard-Entgelte (früher „EC-Karten“) gerichtlich geltend macht. Wie die LZ meldet, klagt die Jet Tankstellen GmbH vor dem Landgericht Berlin auf 33,6 Mio. Euro Schadenersatz zzügl. Zinsen gegen DSGV, BVR und BdB, die Herren des Girocard-Systems. Der vierte Verband im Bunde, der VÖB, wird zwar in der Klageschrift erwähnt, ist jedoch nicht als Beklagter aufgeführt.
Jet Tankstellen GmbH erster Kläger
„Ausgerechnet“, weil Tankstellen seit Gründung des EC-Cash-Verfahrens im Jahr 1990 eigentlich einen privilegierten Gebührensatz von nur 0,2 Prozent vom jeweiligen Kartenumsatz entrichten mussten, während alle anderen Kartenakzeptanten in Handel, Dienstleistungsgewerbe, Hotellerie und Gastronomie jeweils 0,3 Prozent vom Umsatz, mindestens aber 8 Cent, zahlen mussten.
Erst im Jahr 2014 verpflichteten sich die Banken gegenüber dem Bundeskartellamt, dieses einheitliche Händlerentgelt durch bilateral ausgehandelte Gebühren zu ersetzen. Mit dieser Verpflichtungserklärung wurde das 2011 von den Bonner Wettbewerbshütern eingeleitete Kartellverfahren beendet. Seither fallen die Gebühren für Girocard-Zahlungen rapide, wofür allerdings auch die europäische Interbankenentgelt-Regulierung (MIF-VO) mitverantwortlich ist, die seit Dezember 2015 für Debitkarten ein maximales Interbankenentgelt von 0,2 Prozent vorschreibt.
Kartellschadenersatz ist seit einigen Jahren der letzte Schrei vor deutschen Gerichten. Gegen die drei großen deutschen Zuckerhersteller klagen rund 70 Kunden auf in der Summe weit mehr als 500 Mio. Euro Schadenersatz. Gegen die LKW-Hersteller MAN, Volvo/Renault, Daimler, Iveco und DAF summieren sich die Forderungen laut Presseberichten sogar auf zweistellige Milliardenbeträge. Und nun sollen auch die Banken blechen.
Hausfeld u.a.
Neben Hausfeld ist gegen das EC-Karten-Kartell auch die Kanzlei SGP Schneider Geiwitz aktiv. Die Neu-Ulmer sind ebenfalls Spezialisten für Kartellschadensfälle. Sie fordern unter anderem für den Schlecker-Insolvenzverwalter dreistellige Millionensummen vom Kaffee-, Drogeriewaren- und Waschmittelkartell ein und betreuen aktuell rund 130 Einzelklagen gegen das LKW-Kartell mit einem Schadensvolumen von gut 200 Mio. Euro.
Im Girocard-Fall vertritt SGP Schneider Geiwitz die Interessen von derzeit 18 Handelsunternehmen aus unterschiedlichen Branchen und unterschiedlicher Größe gegen die Banken. Rund 50 Mio. Euro Schadensersatz steht in Rede, ohne Zinsen. Bis zurück zum April 2004 (!) werden die Regressforderungen erhoben, die 9. GWB-Novelle macht´s möglich. Die Klagen sollen in den nächsten Wochen ebenfalls beim LG Berlin eingereicht werden, wie Jànos Morlin, Rechtsanwalt in der Kanzlei SGP Schneider Geiwitz, gegenüber der LZ mitteilte. Das kartellerfahrene Gericht hat wegweisende Urteile in Sachen Zement- und Transportbetonkartell gefällt.
Hausfeld und SGP Schneider Geiwitz gegen Oppenländer und Hengeler Mueller für den DSGV auf der anderen Seite, lautet die Gefechtskonstellation. Als Gutachter für den DSGV ist der renommierte Frankfurter Ökonom und Leibniz-Preisträger Roman Inderst mit von der Partie. Inderst war im Zuckerkartell auch schon mal für die Klägerseite unterwegs. Am 18. September soll der 1. Verhandlungstermin in der Sache Jet Tankstellen GmbH ./. DSGV, BVR und BdB vor dem LG Berlin stattfinden.
Ich habe in diesem Blog-Beitrag, „EC-Karten-Kartell kommt vor den Kadi,“ schon recht ausführlich zum Thema und zur Problematik der Schadenersatzklage wegen angeblich überhöhter Girocard-Gebühren geschrieben.
Die erste Frage lautet: Liegt bzw. lag überhaupt ein Kartell vor und wenn ja, ab wann war es illegal? Die zweite Frage: Gab es einen Schaden und wenn ja, wie hoch war dieser bzw. wie hoch wären die Gebühren ohne Absprache gewesen?
Girocard-System ein „exotisches“ Kartell?
Nach Ansicht der Deutschen Kreditwirtschaft war das EC-Cash-System zu keinem Zeitpunkt ein Kartell. Das zugrundeliegende Vertragswerk, inklusive Händlerentgelt, wurde dem Bundeskartellamt 1990 vorgestellt und von diesem „freigestellt“, so die Argumentation. Zudem waren die Händlerbedingungen jedem Vertragspartner zu jeder Zeit bekannt. Niemand wurde gezwungen EC-Karten zu akzeptieren, Kreditkarten waren stets wesentlich teurer und das EC-Kartensystem ein Segen auch für den Handel. Mit dem ELV-Verfahren habe überdies eine Alternative für EC-Kartenzahlungen zur Verfügung gestanden. Erst 2014 habe man sich schließlich verpflichtet, die Gebühren bilateral zu verhandeln, weil das Kartellamt Probleme mit dem Verhandlungsmodell hatte. Das Kartellamt habe jedoch zu keinem Zeitpunkt von einem Kartell gesprochen oder die Entgelthöhe beanstandet. Im Übrigen seien die 0,3 Prozent stets nur als Preisobergrenze vereinbart worden, von der in Einzelfällen auch abgewichen worden sei.
Auf Seiten der Kläger wird argumentiert, dass die EC-Kartengebühren dem Wettbewerb durch die Vereinbarungen der Banken entzogen wurden, auch wenn die Konditionen im Markt bekannt waren. Dies habe das Kartellamt in seinem Beschluss zur Annahme der Verpflichtungserklärung 2014 auch explizit festgestellt. Die Kläger können auf vergleichbare Schadenersatzurteile gegen Mastercard und Visa in den USA und UK verweisen und auch auf die Rechtsauffassung von EU-Kommission und EuGH. Selbst wenn es keinen klassischen Bußgeldbescheid des Kartellamts gegen die Girocard-Banken gibt, sei der Bescheid des Amtes zur Verpflichtungserklärung eindeutig. Die Freistellung von 1990 sei aufgrund der Änderung der Rechtslage (Stichwort: „Selbstveranlagung“, etc.) und des technischen Fortschritts, der individuelle Gebührenfestlegungen bzw. -abrechnungen seit Langem ermögliche, spätestens seit 2004 obsolet.
Die Höhe des Schadens…
… dürfte ein spannender Gutachterstreit werden, wenn die Gerichte denn einen Schaden „dem Grunde nach“ anerkennen.
Die DK argumentiert, dass den Kartenakzeptanten kein Schaden enstanden sei. Es gab ja schließlich keinen Wettbewerb um die Gebührenhöhe im EC-Cash-Verfahren, sondern nur ein „dabei sein“ oder „nicht dabei sein“. Das EC-Cash-System konnte nur funktionieren, wenn alle Banken ein einheitliches Händlerentgelt bekamen. Andernfalls hätte jede kleine Dorf-Sparkasse und jede Volksbank „Wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen“ das System mit unangemessenen Gebührenforderungen sprengen können. Niemand musste die stets transparenten Entgelte bezahlen, wenn er nicht wollte. Niemand war gezwungen EC-Karten zu akzeptieren. Bargeld, Kreditkarten und ELV standen als Alternativen bereit.
Die Klägerseite argumentiert zum einen mit dem regulierten Gebührensatz, den die EU-Kommission festgelegt hat. 0,2 Prozent vom Umsatz bei Debitkartentransaktionen, wie es die Interchange-Verordnung seit Dezember 2015 festlegt, sind angemessen. Alles was darüberliegt kann bis zur Verjährungsgrenze als Schaden geltend gemacht werden. Zum anderen wird auch auf die heutigen Girocard-Gebühren verwiesen, die – laut Klägervortrag – auf ein Durchschnittsniveau von 0,15/0,16 Prozent gefallen sind oder auf andere Länder in denen fixe Entgelte für Debitkartentransaktionen erhoben werden.
Üblicherweise schaut man in Kartellschadensfällen auf Vergleichsmärkte oder betrachtet die Preisentwicklung vor und nach dem Kartell, um den kartellbedingten Schaden zu bestimmen. Die Ermittlung der Schadenshöhe ist immer eine große und bunte Spielwiese für Ökonomen (was bei Juristen („Judex non calculat“) mitunter für despektierliche Bemerkung über die Beliebigkeit des Gutachterwesens im Allgemeinen und die Wirtschaftswissenschaft im Besonderen sorgt).
ELV-Gebühren als „Umbrella-Schaden“?
Im Hause Hausfeld wird – wie berichtet – auch erwogen, die Höhe der ELV-Gebühren von Zahlungsdienstleistern als Kartellschaden gegenüber den Banken geltend zu machen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Preisschirmeffekten. Im Windschatten des Kartells können auch Wettbewerber, die nicht am Kartell teilnehmen, ihre Preise erhöhen. Auch dafür sollen nach der reinen Lehre die Kartellanten haftbar gemacht werden können. Dann würde es freilich teuer für die deutschen Banken. Viele große Händler setzten Mischverfahren aus PIN-gestützten EC-Cash- und ELV-Zahlungen ein. Der Löwenteil wird dabei über Lastschriften abgewickelt (je nach Dienstleister, Branche und lokalem Risiko deutlich mehr als 90 Prozent). Deshalb lohnt sich der Streit um Girocard-Gebühren für die großen Fische im Teich bislang eigentlich kaum. Dies sähe freilich anders aus, wenn man zu dem Schluss käme, dass auch für ELV-Transaktionen kartellbedingt zu viel an den jeweiligen Dienstleister gezahlt wurde. Hausfeld verklagt das Bundeskartellamt vor dem Verwaltungsgericht Köln auf Einsicht in die Ermittlungsakten zum Girocard-Fall, man erhofft sich davon Aufschluss über die Schadenshöhe.
So oder so werden diese Verfahren ein spannendes Kapitel in der Kartellrechtsgeschichte, das vermutlich erst in Karlsruhe abgeschlossen wird. Für außergerichtliche Einigung stehen die Banken nicht zur Verfügung, wie ein Sprecher des DSGV, dem diesjährigen Federführer der DK, gegenüber der LZ betonte.
Wieder einmal ein sehr interessanter Artikel!