Die Akte zu und alle Fragen offen: Das Bundeskartellamt hat das Verfahren gegen die Spitzenverbände der deutschen Banken in Sachen EC-Cash-Gebühren am 30. März eingestellt. In der Pressemitteilung lobt sich das Amt für die erfolgten Preissenkungen und im Fallbericht geben die Bonner Beamten der Bundesregierung noch schnell eine Empfehlung, wie die europäische „Interchange Fee Verordnung“ hierzulande umgesetzt werden soll. Ansonsten waschen die Wettbewerbshüter ihre Hände in österlicher Unschuld und hinterlassen mit ihrem halbherzigen Markteingriff zur Unzeit eine zerstrittene und ratlose Payment-Branche.
Der Präsident des Kartellamts feiert die Beendigung des Verfahrens „B4-94-14“ als Erfolg: „Die Spitzenverbände der Banken haben ihre Zusagen eingehalten. Im Wege der Verhandlung konnten die Händler nun teils deutlich reduzierte Preise vereinbaren“, lässt sich Andreas Mundt in der Pressemitteilung zitieren.
Gebührenreduzierungen „von bis zu 40 Prozent“ will das Amt laut Fallbericht festgestellt haben. Dank des Konzentratormodells mit dem die EC-Cash-Gebühren seit dem 1. November 2014 zwischen Banken und Händlern bzw. EC-Cash-Netzbetreibern verhandelt werden. Insgesamt geht es hier um eine Gebührenvolumen von 300 Mio. Euro, das von Händlern allein im Jahr 2013 für die Girocard-Transaktionen mit PIN-Eingabe und Zahlungsgarantie an Banken gezahlt wurde.
Ein Erfolg des Bundeskartellamts? Seit dem Start des EC-Cash-Systems im Jahr 1989 blieben die Gebühren allen Kostensenkungen und Effizienzgewinnen in IT und Telekommunikation zum Trotz stabil bei 0,3 Prozent vom Umsatz, sieht man von den Tankstellten, Aldi, Lidl, Metro, Edeka und Rewe ab. Nun endlich Wettbewerb und marktgerechte Preise für Debitkartenzahlungen?
Hingeworfene Brosamen statt Preisverhandlungen
Pustekuchen: Gnadenreich hingeworfene Brosamen der Banken, um den Schein von „Verhandlungen“ zu waren und ihr schönes Girocardverfahren noch ein paar Jahre genießen zu können. Spätestens in fünf Jahren, wenn die feste 0,2 Prozent-Obergrenze der europäischen Interbankenentgelt-Verordnung für Debitkarten auch hierzulande greift, ist Schluss damit.
Die EU-Kommission und zahlreiche Wettbewerbsbehörden in anderen Ländern von Down Under über Polen bis hin zu Großbritannien haben es vorgemacht und die Multilateral Interchange Fees (MIF) ganz abgeschafft oder auf feste Prozentsätze reguliert.
Niemand kam meines Wissens bislang auf Idee, dass sich die Gebühren innerhalb eines marktbeherrschenden Kartenschemes mit den einzelnen kartenherausgebenden Banken verhandeln ließen. Ich verhandele auch nicht mit der Mainova meinen Stormpreis, ich wechsele jährlich den Anbieter. Das fällt dem Handel bei EC-Karten aber bislang noch schwer.
Kozentratormodell mit Konstruktionsfehler
Dennoch ging das Kartellamt einen nationalen Sonderweg, obwohl sich die europäische Regulierung seit Jahren über dem Brüsseler Himmel abzeichnete. Die Deutsche Kreditwirtschaft durfte ihr Konzentratormodell erfinden, etablieren mussten es dann die EC-Cash-Netzbetreiber. Was zu erheblichem Streit über die Rollen- und Kostenverteilungen führte. (Im Beitrag „Krieg im Kartenland“ eine kleine Momentaufnahme dazu.)
Phase 1 und 2 wurde ersonnen, weil die Banken gar nicht in der Lage dazu sind individuell ausgehandelte Entgelte abzurechnen. Das können nur die EC-Cash-Netzbetreiber. Unabhängige Konzentratoren – HDE, ZGV, Unity oder wer auch immer – waren damit in der Phase 1 zunächst einmal komplett raus aus dem Spiel. Die Banken mussten dem Kartellamt ja unter Zeitdruck bis zum 1. November 2014 eine Lösung liefern. Das Konzentratormodell startete mit einem Konstruktionsfehler. Eine spätere Phase 2 soll(te) diese Schwäche überwinden, so die Versprechungen der Kreditwirtschaft.
Derweil kämpfte die Bundesregierung in den Trilog-Verhandlungen in Brüssel im vergangenen Jahr dafür, nationale Debitverfahren aus der europäischen Regulierung herauszuhalten. Das Argumentationspapier dazu entstammte – oh Wunder – dem BKartA. Jedenfalls lässt der Bearbeitervermerk des Word-Dokuments im entsprechenden Non-Paper diesen Schluss zu. Doch die EU-Kommission, die die MIFs spätestens seit 1997 vehement bekämpft, fand keine Gnade für die Wünsche der deutschen Banken Wettbewerbshüter, das EU-Parlament schon gar nicht.
Kartellamt kämpft für sein Konzentratormodell
Damit ergibt sich nun die absurde Lage, dass die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) und die EC-Cash-Netzbetreiber weiter an der Realisierung der Phase 2 (Entgeltabrechnung über die Kopfstellen der Banken) arbeiten müssen, obwohl die europäische MIF-Verordnung das ganze Treiben ad absurdum führt.
Vier Optionen hat der nationale Gesetzgeber, wenn man die Grundsatzregel der Verordnung (0,2 Prozent fix für Debit) mitzählt. Nicht ganz ohne eigenes Interesse plädiert das Kartellamt im Fallbericht zur Einstellung der Girocard-Verfahrens für die Option der flexiblen Kartengebühren (Artikel 3, Abs. 1 b):
„Aus Sicht des Bundeskartellamtes wäre es zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch machte, für fünf Jahre an Stelle der Begrenzung auf 0,2 Prozent des jeweiligen Kartenumsatzes eine flexiblere Obergrenze von durchschnittlich 0,2 Prozent des gesamten relevanten Transaktionsvolumens festzulegen.“ (siehe Fallbericht am Ende)
Bei jeder anderen Option der Verordnung wäre das Konzentratormodell der DK sofort obsolet. Unter der Schwelle eines Fixbetrags von 5 Cent pro Transaktion wollen die Banken sicher nicht mehr verhandeln. Schon unter 0,2 Prozent würden sich schwer tun. 🙂
Jede andere Option wäre technisch einfacher
Das Amt begründet sein Plädoyer für die gewichtete Jahresdurschnittsgebühr wie folgt: „Dies erleichterte die teilweise notwendigen Anpassungen der bestehenden Preisvereinbarungen“. Da darf man ruhig laut loslachen oder heulen, je nach persönlicher Betroffenheit.
Die „Anpassungen“ des Girocardsystems auf 5 Cent oder 0,2 Prozent pro Transaktion wären weitaus einfacher umzusetzen als die Phase 2 des Konzentratormodells, um die gerade erneut heftig gestritten wird (Wer stellt welche Schnittstellen zur Verfügung? Wer zahlt dafür? Wer liefert wann die Daten der einzelnen Vereinbarung? Was kostet die Happy Hour für Kartenzahlungen?).
Für den von der MIF-Verordnung auf fünf Jahre begrenzten Zeitraum soll in ein komplexes und im Ergebnis überflüssiges Abrechnungssystem investiert werden, damit das Kartellamt das Gesicht wahren kann und den Banken ein paar Mio. Euro mehr pro Jahr in die Kassen fließen? (Wenn überhaupt, denn unter dem Strich…)
Gewichtete Kartengebühren bringen neue Probleme
Darüber hinaus bringen die gewichteten 0,2 Prozent im Jahresdurchschnitt aller Transaktionen ganz neue Probleme auf den Tisch. Was geschieht, wenn ein Händler im Laufe des Jahres wie blöde expandiert und viel mehr Kartenumsätze erzielt als bei Vertragsschluss veranschlagt? Was bei der Insolvenz eines großvolumigen Kunden, der schlecht verhandelt hatte? Wer kontrolliert, ob der Durchschnitt der Gebühren des Issure-Konzentrators/der einzelnen Bank (?) am Jahresende bei 0,2 Prozent lag? Wer sanktioniert, wenn der Wert überschritten wurde? Wird der Überschuss dann an notleidende Kartenakzeptanten ausgeschüttet? Wer kam überhaupt auf die Idee der Option „Art. 3, Ib“? Kommission und Parlament waren es nicht. Nachtigall, ich höre Deinen R-a-tschlag…
Ich denke derzeit noch angestrengt darüber nach, warum es einer dem BMWi zugeordneten Behörde erlaubt ist, dem in der Sache federführenden Bundesfinanzministerium öffentlich Ratschläge zu erteilen. Zumal das BMF aktuell eine nicht-öffentliche Verbändeanhörung der betroffenen Wirtschaftsbereiche durchführt. Vielleicht kann mir da jemand auf die Sprünge helfen.
In den Augen der Payment-Branche benimmt sich das Kartellamt jedenfalls wie jemand, der sich in einer Monopolyrunde als Schiedsrichter aufspielt nachdem er Jahre lang schweigend zugeschaut hat, ein paar Straßenkarten neu verteilt, obwohl jeder am Tisch weiß, dass die Hotel- und Häusermieten demnächst ohnehin gedeckelt werden. Nachdem sich alle am Tisch daraufhin heillos verkracht haben und unklar ist, wie das Spiel weitergehen soll, steht der Schiri auf und sagt zum Abschied: „Hab ich doch toll geregelt, jetzt spielt mal schön weiter“
Weiterführende Lektüre:
Für Liebhaber der Materie findet sich hier noch den vollständige 118-seitige Fallbericht vom April 2014 zur Annahme der Verpflichtungszusagen.
Warum soll das Konzentratormodell des Kartellamts ein Widerspruch zur europäischen IF-Verordnung sein? Der Teil des bilateralen Händlerentgelts, der als „Interchange“ identifiziert wird, darf halt 0,2% nicht überschreiten. Die spannende Frage ist, welches Entgelt im deutschen ec cash-System jetzt als Interchange gemäß der Verordnung gilt und damit der 0,2%-Grenze unterliegt. Zu dieser Frage schweigt das Kartellamt noch.
Das Kartellamt besteht weiterhin auf die bilaterale Entgeltstruktur im deutschen ec cash-System. Die europäische IF-Verordnung legalisiert indirekt die bislang strittige multilaterale IF-Festlegung. Hauptsache der MIF bleibt unter Grenze von 0,2% (bzw. 0,3%). Da liegt m. E. ein Widerspruch.
Einen Widerspruch sehe ich auch nicht, aber ich sehe auch keinen Sinn in der „Doppelregulierung“. Verhandelte Kartengebühren wie sie dem Kartellamt mit dem Konzentratormodell als Ausweg aus dem Wettbewerbsproblem „MIF“ vorschweben sind meines Erachtens eine Chimäre. Keine Wettbewerbsbehörde der Welt kam bislang auf die Idee, Gebührenverhandlungen zu verordnen. Alle Regulierungen sehen eine Deckelung der Gebühren oder eine Abschaffung der MIF als Lösung vor, oder übersehen ich etwas? Das MIF-Problem ist eben nicht mit den üblichen Mitteln der Wettbewerbsbehörden aufzulösen (Weg mit der Kartellrendite). Daher versucht man einen Ansatz der irgendwo einen Schnaps über den System- und Risikokosten liegt. So verstehe ich jedenfalls die 0,3 bzw. 0,2 Prozent der EU. Die EU-Kommission beißt in den sauren Apfel der Preisfestsetzung. Warum das Kartellamt parallel einen nationalen Sonderweg einschlagen muss, würde ich gerne verstehen. Ich schaffe es noch nicht.
Spannend wird in der Tat die Frage, was ist „Interchange“. Die Acquirer klagen ja schon (seit
JahrenMenschengedenken) über die ausschweifenden Gebührenfantasien von MC und Visa. Warum sollten es Netzbetreiber und Banken bei Girocard anders halten. Alexander Italiener hat im Interview mit der LZ allerdings eine klare Definition gegeben: „Als Interbankenentgelt ist dabei der gesamte Nettobetrag zu verstehen, der bei der kartenausgebenden Stelle in Verbindung mit den jeweiligen Zahlungsvorgängen eingeht.“ (lz 11-15) Soll sich aus der VO ergeben, wird aber dennoch Fragen aufwerfen.