EC-Karten-Kartell kommt vor den Kadi

Kartellschaden: Hausfeld zieht gegen Girocard-Gebühren ins Feld. (BamS)

Jahrzehntelang kassierten die deutschen Banken für Zahlungen mit der Girocard (früher: EC-Karte) eine gemeinsam festgelegte Gebühr von 0,3 Prozent vom Umsatz von Händlern, Gastronomen, Hoteliers, Tankwarten oder wer auch immer die Kartenzahlung entgegennahm. Das Bundeskartellamt schaute jahrelang tatenlos zu, obwohl die EU-Kommission und andere nationale Kartellbehörden längst gegen gleich gelagerte „Multilateral Interchange Fees“ (MIF) vorgingen. Erst im Jahr 2014 rang die Bonner Kartellbehörde der Deutschen Kreditwirtschaft eine Selbstverpflichtung ab, gemäß der die Girocard-Gebühren bilateral verhandelt werden.

Nun präsentiert die deutsche Dependance der US-amerikanischen Kanzlei Hausfeld den deutschen Banken offenbar die Rechnung für ihr Gebühren-Kartell. Die BamS berichtet von einer „Milliarden-Klage“ gegen die Herren des Girocard-Verfahrens.

Wer steht hinter der Klage gegen die Deutsche Kreditwirtschaft?

Diesen Mann möchte man nicht zum Gegner haben: Michael Hausfeld wird vermutlich nicht nur vom Playboy als „Thoughest Laywer in America“ bezeichnet. Er könnte gut als Vorbild für eine amerikanische Anwaltsserie dienen. Beobachter der Kanzleiszene konnten ihn 2015 in Deutschland bei einer Veranstaltung des DICE zur Umsetzung der europäischen Kartellschadenersatz-Richtlinie erleben. Ein erstes Donnergrollen. Raumfüllende intellektuelle Brillanz. Auf 100 Meter gegen den Wind als Feingeist und Gentleman von Welt zu erkennen. Distinguiert, mit Fliege und runder Brille. Ein New Yorker Anwalt wie er in Büchern stehen könnte. Seine Kanzlei ist auf Sammelklagen und Schadenersatzprozesse spezialisiert. Allein der Briefbogen dürfte Inhouse-Juristen weltweit in Angst und Schrecken versetzen.

Dennoch täuscht es etwas, wenn nun überall von „US-Anwälten“ geschrieben wird, die die Deutsche Kreditwirtschaft im Namen von Handelsunternehmen, Tankstellenketten und anderen Girocard-Akzeptanten wegen überhöhter Kartengebühren auf Schadenersatz verklagen wollen. Hausfeld himself und seine amerikanischen Kollegen werden in diesem Fall sicher kein einziges Aktenblatt umschlagen. Managing Partner der seit Anfang 2016 mit einem Berliner-Büro auch in Deutschland vertretenen Kanzlei ist Christopher Rother.

Rother war bei der Deutschen Bahn AG jahrelang für die ebenfalls legendäre Abteilung „CRK4“ verantwortlich, die Kartellschadensprozesse hierzulande quasi erst salonfähig machte und für ihren Arbeitgeber bereits dreistellige Millionenbeträge von Kartellanten eintreiben konnte. „Die Spanne reicht von Infrastrukturprodukten wie Beton, Stahl, Schienen, Schwellen und Gleisschotter, technischer Ausstattung für Fahrzeuge, Nahrungsmitteln wie Bier, Wurst- und Süßwaren, bis hin zu Fracht- und Dienstleistungen“, erläuterte Dr. Tilman Makatsch, Leiter der CRK4, das Betätigungsfeld beispielsweise in diesem Interview. Gegen das sogenannte Luftfrachtkartell führt die DB AG zusammen mit anderen Betroffenen einen der größten Schadenersatzprozesse weltweit.

Auch in Sachen Girocard suchte die Deutsche Bahn bzw. die CRK4 bereits vor Monaten nach Verbündeten aus dem Handel, um Schadenersatzforderungen gegen die Banken zu stellen. Die Lebensmittel Zeitung berichtete bereits im Juni 2015 über das Vorhaben (Rubrik: „Wir haben es schon immer gewusst“). 🙂

Gegen die Kreditkartengebühren von Mastercard prozessiert die Deutsche Bahn AG vor dem Competition Appeal Tribunal in London, ebenso wie die Metro AG, Sixt und andere deutsche Unternehmen.

Es sind also nicht wirklich „US-Anwälte“, die hier Klagen in einer völlig fremden Jurisdiktion gegen Sparkassen, Volks- und Privatbanken anstrengen. Rother und seine Mannen sind streiterfahrene Spezialisten für Kartellschadensklagen in Deutschland und Europa aus der ersten Liga. Man kennt die Truppe und ihre offensive Öffentlichkeitsarbeit spätestens seit dem LKW-Kartell.

Sie halten es vorliegend offenbar nicht einmal für nötig, die Umsetzung der EU-Kartellschaden-Richtlinie mit der anstehenden 9. GWB-Novelle abzuwarten. Die Richtlinie soll es Kartellopfern eigentlich erleichtern, ihre Regressforderungen gerichtlich durchzusetzen. Noch ist die inzwischen etwas überfrachtete GWB-Novelle allerdings trotz Ablauf der Umsetzungsfrist nicht verabschiedet.

Warum Schadenersatz wegen überhöhter Kartengebühren?

Die Girocard-Gebühren waren bis 2014 nicht verhandelbar. Sie wurden einseitig gemeinsam von den Banken festgelegt und betrugen seit Gründung der Stadt Rom Einführung des EC-Cash-Systems im Jahr 1989 0,3 Prozent vom Umsatz bzw. mindestens 8 Cent pro Transaktion. Ausnahmen galten nur für Tankstellen, die mit 0,2 Prozent bzw. 4 Cent dabei waren, sowie für die sehr spät dazu gestoßenen Discounter Aldi und Lidl, später auch für Metro und Edeka.

Allen Fortschritten und Kostenreduktionen in der IT- und Telekommunikationswelt zum Trotz blieben die vom Kartenkartell festgelegten Gebühren über die Jahrzehnte stabil. Eine glasklare Preisabsprache, allenfalls freistellungsfähig, falls ohne gemeinsame Gebührenfestlegung technisch nicht machbar. Dies verneinen EU-Kommission und Kartellamt aber inzwischen im Fall von Kartengebühren einhellig und suchen mit dem „Merchant Indifference Test„, dem „Tourist Test“ oder dem sogenannten „Konzentratorenmodell“ nach geeigneten, kartellrechtskonformen und „fairen“ Preissetzungsmechanismen.

Das Bundeskartellamt erwachte im schönen ehemaligen Bonner-Regierungsviertel allerdings erst 2011 aus seinem Dornröschenschlaf und eröffnete ein Kartellverfahren gegen Mitglieder der Deutschen Kreditwirtschaft (DK). Die Tankstellenkette Aral hatte das Gebührensystem 2009 mit ihrem Wechsel zum ELV-Mischverfahren derart erschüttert, dass die Bonner Wettbewerbshüter wachgerüttelt wurden. 2014 machten sie den Aktendeckel wieder zu, nachdem die DK in einer Selbstverpflichtungserklärung versprach, die Girocard-Gebühren nunmehr brav bilateral auszuhandeln. Ein Irrwitz, da sich inzwischen abzeichnete, dass die EU-Kommission die als wettbewerbswidrig angesehenen Händlergebühren für Kredit- und Debitkarten kurzer Hand  einfach deckeln wird, was mit Wirkung zum 9. Dezember 2015 durch die Interchange-Verordnung dann auch geschah. Seither dürfen Debitkartentransaktionen nicht mehr als 0,2 Prozent vom Umsatz kosten. Interbankenentgelte wurden EU-weit reguliert.

Der BVR twittert die Verteidigungslinie der DK in Sachen Kartellverstoß.

Heute, nach Erscheinen des BamS-Berichts, beruft sich die Deutsche Kreditwirtschaft als Herrin des Girocard-Verfahrens (namentlich der BVR, der in diesem Jahr die Sprecherrolle für die DK innehat) auf Twitter darauf, dass die EC-/Girocard Gebühren (a.) mit dem Kartellamt abgestimmt gewesen seien, (b.) auf einer gesetzlichen Freistellung beruht habe sowie (c.) ein Kartellrechtsverstoß zu keinem Zeitpunkt vorgelegen habe und (d.) auch vom Bundeskartellamt nicht festgestellt worden sei (siehe Kasten).

Auf einen Freistellungsantrag hat die DK jedoch Anfang 2001 explizit verzichtet, da klar war, dass das Kartellamt nicht zustimmen wird (siehe Beschluss vom 8. April 2014, Rz. 97). Mehrfach betont die zuständige 4. Beschlussabteilung darüber hinaus in dem Beschluss sehr deutlich, dass „die gemeinsame Festlegung des Händlerentgeltes in den Anwendungsbereich des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Art. 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB) fällt“. Andernfalls wäre ja auch keine Verpflichtungserklärung zustande gekommen (Rz 99, 116, 175).

Des Weiteren ist es m.E. zweifelhaft, ob die Untätigkeit bzw. die Einschätzung des Kartellamtes für eine Zivilklage hier überhaupt eine Bindungswirkung entfaltet. Nicht alles, was das Bundeskartellamt nicht aufgreift, ist kein Kartell. Die wettbewerbliche Beurteilung von „Multilateral Interchange Fees“ ist von der EU-Kommission vorgezeichnet und vom EuGH eindeutig bestätigt worden. Die Girocard-Gebühren sind nichts anderes als ein Interbankenentgelt, auch wenn man in der DK gerne die Legende vom Kartenverfahren „sui generis“ pflegt. Eine MIF ist eine MIF ist eine MIF. Das Girocard-System ist kein Drei-Parteien-System wie etwa American Express.

Die am 25. Januar 1990 (!) erfolgte, offizielle Anmeldung des „electronic cash-Vertragswerk“ beim Bundeskartellamt (s. Beschluss vom 8. April 2014, Rz. 96) dürfte spätestens mit den individuellen Sonderkonditionen für Lidl (2003) und Aldi (2005) hinfällig geworden sein. Ob die Anmeldung nach der 7. GWB-Novelle 2005 (Stichwort: „Selbstveranlagung“) überhaupt noch eine rechtliche Wirkung entfaltete, dürfte auch unabhängig vom technischen Fortschritt im ITK-Sektor seit 1990, ebenfalls kritisch zu hinterfragen sein.

Welche Verteidigungslinien sind für die DK denkbar?

Neben diesen Einwänden werden sich die Anwälte der DK auf die sogenannte „Passing on“-Defence stürzen: Der finanzielle Schaden durch die überhöhte Kartengebühren wurde vom Handel an die Endkunden weitergereicht. Hier wird es spannend, denn der Einwand liegt freilich auf der Hand. Der Verbraucherzentrale Bundesverband wird den Fall sicherlich mal wieder zum Anlass nehmen, die Musterfeststellungsklage zu fordern. Geschädigt wurde durch das Kartenkartell letztlich der Verbraucher (wobei der CAT dazu im Fall Sainsbury’s eine abweichende Auffassung vertritt).

Doch, ob der Einwand vor Gericht gegen die Forderungen der Kartenakzeptanten zählt, wird eine spannende Frage. Gerade das LG Frankfurt, vor dem die Klage laut BamS eingereicht werden soll, hielt die Berufung auf das Weiterreichen des Schadens („Passing on“) in einem anderen Fall jüngst für unredlich und ließ den Einwand nicht gelten.

Natürlich wird auch das Verjährungsthema und die genaue Schadensberechnung ein interessantes juristisches Spielfeld. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang, dass Mineralölkonzerne an der Klage beteiligt sein sollen. Wie erwähnt, zahlten die Mineralöler ohnehin schon immer nur 0,2 Prozent vom Umsatz. Bei Hausfeld geht man demnach offenbar von einer Händlergebühr unterhalb der 0,2 Prozent-Marke als „tatsächlicher Preis ohne Kartellabsprache“ aus.

Um welche Beträge geht es bei der Schadenersatzklage?

Entwicklung des Girocard-Gebührenvolumens im Einzelhandel. (Quelle: EHI Retail Institute)

In der BamS heißt es „Milliardenklage“, darunter macht es das Springer-Blatt nun mal nicht. Eine Orientierung zur tatsächlichen Schadenshöhe (ohne Zins und Zinseszins) können die alljährlichen Zahlen des EHI Retail Instituts zum Kartenmarkt im deutschen Einzelhandel geben. Demnach sparte der Einzelhandel (und nur der, also ohne Mineralöler, Apotheker, Gastronomen, Travel & Entertaintment, etc.) im Jahr 2016 rund 125 Mio. Euro durch die Deckelung der Girocard-Entgelte auf 0,2 Prozent vom Umsatz sowie die inzwischen verhandelten Gebühren (siehe Grafik). Wesentlich defensiver gerechnet, geht die auf den Kartenmarkt spezialisierte Unternehmensberatung Paysys aufgrund der MIF-Regulierung von Einnahmeverlusten bei Girocard-Gebühren von 50 Mio. Euro p.a. für die DK aus. Irgendwo in der Mitte scheint die Sonne, wenn man das Delta zwischen den (doppelt) regulierten Debitkartengebühren und den ursprünglichen 0,3% bzw. 0,2% als Basis für die Berechnung der Schadenshöhe nimmt. Bei einer Vergleichsmarktanalyse stoßen die Kläger vielleicht auf Niederlande und/oder Belgien. Dort war eine Debitkartentransaktion schon vor Jahren für 4 Cent erhältlich – pro Stück.

Die Verjährungsfrist für die Geltendmachung von Kartellschäden beträgt zehn Jahre ab Kenntnis, wenn ich mich recht entsinne. Streiten wir also über den Zeitpunkt der Kenntnis. Dem Grunde nach halte ich den Fall aber für entscheidungsreif. Über die Schadenshöhe wird man vortrefflich streiten können. 🙂

Was ist die Handlungsempfehlung für die DK?

Die Deutsche Kreditwirtschaft kann für den Verkauf ihres vorletzten Gemeinschaftsunternehmen, den Zahlungsdienstleister Concardis, laut Reuters 700 Mio. Euro erwarten. Ich würde das Geld sicherheitshalber auf der Bank liegen lassen. Wobei ich zu Bedenken gebe: Bei Kartellschadensfällen machen die Zinsen den Braten fett.

Wie lautet die Handlungsempfehlung für Girocard-Akzeptanten?

Ich würde mir das sehr genau anschauen.

Was wir (noch) nicht wissen…

Welche „namhaften Unternehmen“ Hausfeld in der Sache vertritt – und wenn ja, wie viele. Vielleicht war das Lancieren der Klageabsichten, ausgerechnet über das Fachblatt BamS ja auch erstmal nur ein Klopfen auf den Busch – mal sehen, ob noch ein paar Mandate herunterfallen.

6 Gedanken zu „EC-Karten-Kartell kommt vor den Kadi

  1. Wie verhält sich das mit den Mineralölgesellschaften,warum können Sie Gebühren auf Null setzen ,und kann ich auf letzte Jahre Anspruch auf Rückzahlung ausloten.Engel

    • Die Minieralöler hatten von jeher privilegierte Gebührensätze, als Dankeschön für ihre Unterstützung beim Aufbau des EC-Cash-System 89/90, so sagt man. Von „Null-Gebühren“ habe ich nichts geschrieben. Die genaue Höhe der ehemaligen Tankstellen-EC-Cash-Gebühren (0,2% a 51,13 Euro sowie 4 statt 8 Cent Minimum, s.a. Rz. 71 des oben beigefügten BKartA-Beschlusses).

      Ob Sie Regressansprüche ausloten können, kann ich nicht sagen. Wenn Sie nachweisen können, wie hoch die EC-Cash-Gebühren waren, die Sie in den vergangenen zehn Jahren bezahlt haben und das multipliziert mit 0,1% eine signifikante Summe ergibt, würde ich das einen Kartellrechtsanwalt meines Vertrauens ausloten lassen. Es gibt nicht nur eine Kanzlei, die sich mit dem Thema befasst und Verhandlungen für Handelsunternehmen mit der DK führt, soviel kann ich sagen.

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  3. Wenn die girocard-Gebühren wirklich zu hoch waren, warum haben Händler dann nicht schon lange auf ELV gewechselt? Die Preise für gesicherte ELV sollten doch auch damals schon deutlich unter den girocard Gebühren liegen.. Klar, es gibt einen Mehraufwand des Belegmanagements, aber bei 0.3% vs ELV dürfte der Wechsel doch trotzdem Sinn machen!

    • Viele Händler setzen in der Tat Mischverfahren aus ELV und electronic cash-Verfahren ein, um die Kartengebühren zu reduzieren (siehe Aral, Rewe, etc.). Dabei werden – je nach Branche und Gegend – idR gut 95% über ELV abgewickelt. Aber auch die Gebühren für das abgesicherte ELV waren im Windschatten des Kartenkartell ja vermutlich höher als sie ohne die Gebührenabsprache gewesen wären. Wettbewerbsökomomen sprechen vom Preisschirmeffekt (Umbrella Pricing). Auch für diesen Schaden können die Kartellanten vielleicht in Anspruch genommen werden. Dann würde es richtig teuer für die DK. Aber auch, wenn man nur auf die Girocard-(ec-cash)-Gebühren als Basis nimmt, kommt bei vielen Händlern ein erklekliches Sümmchen zusammen.

  4. Pingback: Fundstücke Januar 2017 – VW-Skandal, Hausfeld, Strafschadensersatz – zpoblog.de

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