Wer hätte vor zwei Monaten gedacht, dass in Deutschland Toilettenpapier, Seife und Hefe rationiert werden? Vermutlich die gleichen Seher, die ahnten, dass kontaktlose Kartenzahlungen aus Hygienegründen plötzlich die angesagteste Zahlmethode im Land der Barzahler und Bedenkenträger werden.
Um Kartenzahlungen in Zeiten des Kontaktverbots zu unterstützen, hat die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) das Limit für PIN-lose NFC-Zahlungen in Rekordgeschwindigkeit von 25 auf 50 Euro erhöht, gleiches gilt für die Kreditkarten von Visa und Mastercard.* Auch wenn beim Corona-Virus bislang noch keine „Schmierinfektion“ nachgewiesen wurde und Bundesbank und EZB betonen, Bargeld ist (infektions-)sicher. Alle Händler bitten um kontaktlose Kartenzahlungen und manch Kunde ekelt sich vermutlich vor dem vermeintlich schmutzigen Bargeld. In Baden-Württemberg wird die Kartenzahlung gar hoheitlich empfohlen.
Der Europäische Gerichtshof muss sich derweil in dieser Woche mit der Frage befassen, wer haftet, wenn die NFC-Zahlung mit einer verlorenen oder gestohlenen Karte durchgeführt wurde?
Der österreichische Verein für Konsumenteninformation, sozusagen der Verbraucherzentrale Bundesverband der Alpenrepublik, klagt vor dem Obersten Gerichtshof in Wien gegen verschiedene Klauseln in den Kundenrichtlinien der DenizBank. Diese sehen vor, dass der Kunde das Risiko eines Missbrauchs seiner Bankomatkarte zum Bezahlen von Beträgen von bis zu 25 Euro ohne Eingabe des PIN-Codes (NFC-Funktion) selbst trägt und die Bank keine Erstattungspflicht trifft.
Kurzer Exkurs nach Deutschland
Keine Angst, don´t panic. In Deutschland ist keine Bank so dreist und verlagert das Risiko für nicht-autorisierte NFC-Zahlungen per AGB auf den Kunden. Jedenfalls ist der DK keine solche Bank bekannt. Das versichert der BVR auf Anfrage von BargeldlosBlog. Der BVR führt der DK in diesem Jahr pressetechnisch die Feder. Für Deutschland hat der Fall, also zunächst mal keine direkte Relevanz, abgesehen vielleicht von der AGB-Zustimmungsfunktion, dazu aber später. Bei einem Verlust der Karte trägt in Deutschland die Bank das Missbrauchsrisiko bei kontaktlosen Zahlungen. Bekanntlich muss nach NFC-Transaktionen, die sich auf insgesamt 150 Euro summieren, regelmäßig die PIN eingegeben werden.
Aber zurück zur DenizBank, die offenbar von der Kundenfreundlichkeit der ganz alten Schule geprägt ist. Sie belässt es nicht dabei, ihre Kunden für missbräuchliche Transaktionen in Anspruch zu nehmen, sie weist in ihren AGB auch noch darauf hin, dass eine Sperre für solche Kleinbetragszahlungen bei Abhandenkommen der Karte nicht möglich sei.
Ferner sehen die Kundenrichtlinien eine allgemeine Zustimmungsfiktion für Änderungen vor: Die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der Kundenrichtlinien gilt als erteilt, wenn er nicht rechtzeitig widerspricht. Auch diese Klausel greift der Verein für Konsumenteninformation an.
Oberster Gerichtshof legt Fall dem EuGH vor
Der mit dem Rechtsstreit in dritter Instanz (!) befasste Oberste Gerichtshof hat dem EuGH drei diffizile Fragen zur Auslegung der Zahlungsdiensterichtlinie und zum Charakter von NFC-Kartenzahlungen (personalisiert?, anonym?) vorgelegt. Der Generalanwalt am EuGH Campos Sánchez-Bordona wird an diesem Donnerstag seine Schlussanträge vorstellen. „Üblicherweise folgt der EuGH dem Votum des Generalanwalts“, schreiben Journalisten wie Meinereiner an dieser Stelle gern gebetsmühlenartig.
Konkret will das höchste österreichische Zivilgericht wissen:
1.) Sind die Artikel 52 Nr. 6a iVm 54 Abs. 1 der EU-Zahlungsdiensterichtlinie1, wonach die Zustimmung des Zahlungsdienstnutzers zu einer vorgeschlagenen Änderung der Vertragsbedingungen als erteilt gilt, außer der Zahlungsdienstnutzer zeigt dem Zahlungsdienstleister seine Ablehnung vor dem vorgeschlagenen Zeitpunkt des Inkrafttretens der geänderten Bedingungen an, dahin auszulegen, dass eine Zustimmungsfiktion auch mit einem Verbraucher völlig uneingeschränkt für sämtliche denkbaren Vertragsbedingungen vereinbart werden kann?
2.a) Ist Artikel 4 Nr. 14 der Zahlungsdiensterichtlinie dahin auszulegen, dass es sich bei der NFC-Funktion einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte, mit der Kleinbetragszahlungen zu Lasten des verknüpften Kundenkontos getätigt werden, um ein Zahlungsinstrument handelt?
2.b) Falls die Frage 2.a) bejaht wird: Ist Artikel 63 Absatz 1b der EU-Zahlungsdiensterichtlinie über die Ausnahmeregeln für Kleinbetragszahlungen und elektronisches Geld dahin auszulegen, dass eine kontaktlose Kleinbetragszahlung unter Verwendung der NFC-Funktion einer personalisierten multifunktionalen Bankkarte als anonyme Nutzung des Zahlungsinstruments im Sinne der Ausnahmeregelung anzusehen ist?
3.) Ist Artikel 63 Absatz 1 Buchstabe b der Zahlungsdiensterichtlinie dahin auszulegen, dass sich ein Zahlungsdienstleister auf diese Ausnahmeregelung nur dann berufen kann, wenn das Zahlungsinstrument nachweislich nach dem objektiven Stand der Technik nicht gesperrt werden kann, oder eine weitere Nutzung nicht verhindert werden kann?
Vor Gericht, auf hoher See und im Supermarkt
Wie gesagt, der Rechtsstreit hat keine direkten Auswirkungen auf den deutschen Markt und ist eher etwas für Feinschmecker der EU-Zahlungsdienste-Richtlinie. Es ist IMHO stark anzunehmen, dass der EuGH eine verbraucherfreundliche Lösung finden wird und die Klausel der DenizBank – allenfalls mit Ausnahme der Zustimmungsfiktion – in der Luxemburger Luft zerreißt. Das entspräche wohl auch dem Geist des EU-Gesetzgebers. Andernfalls allerdings könnten vielleicht auch andere Banken auf die Idee kommen, dass die AGB-Klausel der DenizBank aus ihrer Sicht gar nicht so blöd ist. Bislang glaubten viele Kreditinstitute vielleicht auch einfach – und vermutlich zu Recht – die Zahlungsdiensterichtlinie schreibe ihnen die Haftungsverpflichtung auch bei NFC-Transaktionen ohnehin vor. Wir werden sehen…
And don´t forget, there will allways be a …
… sonst war es noch nicht das Ende.
In diesem Sinne, liebe BargeldlosBlog-Leser, bleiben Sie gesund, humorvoll und munter! Ich wünsche Ihnen immer gute Karten in der gut gewaschenen Hand!
* An der Limiterhöhung auf 50 Euro bei kontaktlosen Zahlungen gibt es auch Kritik aus der Praxis. Zum einen ist sie noch nicht wirklich im Markt umgesetzt, sondern eher eine Absichtserklärung. Zum anderen halten Fachleute die Limiterhöhung für kontraproduktiv. Die Karten müssen neu konfiguriert werden: dafür müssten sie gesteckt werden. Die Limiterhöhung ist den Kunden zu kommunizieren etc. p.p.
BTW: Das EHI Retail Institute hat die „Kassenpräferenzen in der Corona-Krise“ untersucht. Ergebnis zur Zahlart:
„Auch in der Art der Bezahlung ergaben sich starke Veränderungen: Vor der Pandemie bevorzugten noch 38 Prozent die Barzahlung, ihr Anteil sinkt aktuell auf 18 Prozent. Während 42 Prozent dabei die klassische Kartenzahlung präferieren, nutzen weitere 31 Prozent das kontaktlose Bezahlen und rund 8 Prozent die mobilen Zahlungsvarianten.“
Update 30.3.2020
Und hier nun die Schlussanträge des Generalanwalts, muss ich erst noch lesen. 🙂
Fällt eigentlich nicht auf, dass die, wie immer zu allem unfähigen, Menschen bei der kontaklosen Zahlung die Karte nicht in die Nähe sondern AN das Lesegerät halten? Auf Plastik halten sich Viren besonders gut und besonders lange (bis zu 30 Tage), viel länger als auf Bargeld (3 Stunden bis 9 Tage, abhängig davon ob Baumwolle oder Kunststoff), so dass die ANGEBLICH KONTAKTLOSE Zahlung infektiöser ist, das mit Geld zu bezahlen.