Manchmal braucht die Bahn bekanntlich etwas länger – zum Beispiel bei der Umsetzung der SEPA-Verordnung. Die VO ist am 31. März 2012 in Kraft getreten und soll für eine Single Euro Payments Area sorgen – sprich: einen einheitlichen europäischen Binnenmarkt im bargeldlosen Zahlungsverkehr. Dazu gehört auch, dass Unternehmen den Lastschrifteinzug von jedem Konto in Europa akzeptieren müssen. Eine „IBAN-Diskriminierung“ im SEPA-Raum ist unzulässig – auch wenn sie an den Wohnsitz des Kunden anknüpft. Dieser Auffassung ist jedenfalls der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs. Und er hat in seinem heutigen Votum eine weitere Ansicht vertreten, die bei Lastschrift-Nutzern noch für Gesprächsstoff und Kopfzerbrechen sorgen wird, wenn ihm das Gericht folgt.
Der Verein für Konsumenteninformation, ein österreichischer Verbraucherschutzverein, klagt gegen die Deutsche Bahn, die auch österreichischen Kunden die Buchung von Bahnfahrten im Internet anbietet. Die Bahn erlaubt Lastschriften als Zahlmethode im Netz jedoch nur für Kunden mit Wohnsitz in Deutschland und verstößt damit nach Ansicht der Verbraucherschützer gegen die SEPA-Verordnung. Der oberste österreichische Gerichtshof legte diese Rechtsfrage dem EuGH vor. Der Generalanwalt (GA) des EuGH schließt sich in seinem heutigen Votum im Vorfeld des Urteils nun den Verbraucherschützern an. Er ist ebenfalls der Ansicht, dass
„… die Vorgabe, dass ein Kunde seinen Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat haben muss, gleichbedeutend mit der Vorgabe ist, in welchem Mitgliedstaat ein Zahlungskonto zu führen ist“.
Daher ist der Generalanwalt der Auffassung, dass die Zahlungspraxis der Deutschen Bahn der SEPA-Verordnung zuwiderläuft. Soweit so – relativ – unspannend. In Deutschland ist zumindest die klassische IBAN-Diskriminierung durchentschieden. Die Wettbewerbszentrale hat schon vor mehr als einem Jahr sogar eine Online-Beschwerdestelle für Verbraucher eingerichtet, um die SEPA-Verordnung bis an das Ende des Internets durchzusetzen.
Verhältnis SEPA-VO zur Geoblocking-VO
Interessanter, weitreichender und vielleicht zukunftsträchtiger sind die Ausführungen des GA zur Geoblocking-Verordnung. Die Anwälte der Bahn hatten versucht, mit der (im konkreten Fall noch nicht rechtskräftigen) Geoblocking-VO zu argumentieren, warum der Ausschluss aufgrund des Wohnsitzes zulässig sein soll. Die mittelstandsfeindliche Geoblocking-VO will Hürden im Digitalen Binnenmarkt abbauen und verbietet Diskriminierungen im Onlinehandel aufgrund des Wohnsitzes des Bestellers. Online-Händler müssen Bestellungen aus ganz Europa akzeptieren. Die Geoblocking-VO verbietet auch Zahlungsmethoden innerhalb der EU zu differenzieren, erhält aber auch Ausnahmeregeln, etwa wenn keine Informationen zur Bonität des Bestellers verfügbar sind. (Auch die Erwägungsgründe der VO sind hierzu instruktiv, die Lobbyverbände haben versucht zu retten, was zu retten ist. Wenn ich mal Zeit habe, liefere ich das mal detaillierter nach. 🙂 )
Der – mitunter ziemlich verpeilte – EU-Gesetzgeber hat offenbar übersehen, dass sich SEPA-VO und Geoblocking-VO hier widersprechen. Onlinehändler hegen die Hoffnung, die Geoblocking-Verordnung adressiere das Problem für Rechnungskauf und Lastschrift ausreichend und überlagere dies SEPA-VO. Ohne valide Bonitätsinformationen im Land XY, kein Zwang zum Lastschrifteinzug, kein Angebot zum Rechnungskauf, so die Hoffnung. (Aus der Argumentation der Bahn (Rz. 43): „Es sei schlicht nicht möglich, eine angemessene Bonitätsprüfung in allen Ländern innerhalb des einheitlichen europäischen Zahlungsverkehrsraums zu gleichen Bedingungen durchzuführen. Eine Bonitätsprüfung für Kunden mit Wohnsitz in Österreich sei um das 15-fache teurer als für Kunden mit Wohnsitz in Deutschland.“)
Doch der Generalanwalt des EuGH wischt die Argumentation der Bahn-Anwälte vom Tisch und führt – quasi in einem obiter dictum – aus:
„In diesem Zusammenhang weist der Generalanwalt das Vorbringen der Deutschen Bahn zurück, die SEPA-Verordnung sei im Licht der Geoblocking-Verordnung auszulegen (obwohl diese auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist), wonach Diskriminierungen aufgrund des Wohnsitzes bei Zahlungsvorgängen erlaubt seien, wenn die Authentifizierungsanforderungen nicht erfüllt seien, was hier ebenfalls der Fall sei.
Nach Auffassung des Generalanwalts findet diese Bestimmung der Geoblocking-Verordnung nur Anwendung im Zusammenhang mit dieser Verordnung, deren Gegenstand sich erheblich von dem der SEPA-Verordnung unterscheidet. Diese enthält zudem keine Querverweise auf die Geoblocking-Verordnung.“
Abschließend betont die Pressemitteilung zum heutigen GA-Votum, dass ja kein Unternehmen verpflichtet sei, SEPA-Lastschriften anzubieten. „Entscheidet es sich aber dafür, den Kunden diese Möglichkeit einzuräumen, hat es diesen Dienst in diskriminierungsfreier Weise anzubieten.“ Punkt aus. Ende der Durchsage.
[Rant Mode on] Aber dann rumheulen, dass es keine starken europäischen Zahlungsschemes gibt, liebe EU-Kommission. [Rant mode off]
Das EU-Payment-Paradoxon
Wenn sich der EuGH dieser Rechtsauffassung (ohne Not) anschließt, haben Onlineshops, die Lastschriften und Rechnungskauf als Zahlungsmethoden anbieten, möglicherweise ein Problem. Gemäß der Geoblocking-Verordnung müssen sie neuerdings Bestellungen aus jedem EU-Land entgegennehmen – und zwar auch mit allen Bezahloptionen, die sie in ihrem Heimatland anbieten. Eine nationale Differenzierung von Sortimenten und Angeboten soll es im (digitalen) Binnenmarkt nicht mehr geben. Aufgrund der SEPA-VO gelten – zumindest für die Lastschrift – aber nicht die Ausnahmeregelungen (keine Bonitätsinformationen), die die Geoblocking-VO eigentlich zum Schutz des Onlinehandels für notwendig erachtete. Ein Meisterstück der Gesetzgebung. Anders gesagt, frei nach Generalanwalt Szpunar: Kein mittelständischer Händler wird in Europa zum Onlinehandel gezwungen. Entscheidet er sich aber in seinem Heimatmarkt dafür, dann hat er das gesamte Brüsseler und EU-Rechtschaos zu beachten.
Man darf gespannt sein, ob der EuGH das Verhältnis zwischen SEPA- und Geoblocking-Verordnung in der anstehenden Entscheidung klärt. In Deutschland werden rund 20 Prozent des Online-Umsatzes per Lastschrift erlöst (akutelle Zahlen gibt es nächste Woche beim EHI-Kartenkongress). In anderen EU-Ländern spielt die Lastschrift keine große Rolle.
Disclaimer: Gelobe den Beitrag noch einmal sprachlich zu überarbeiten. Hatte es so eilig, wie der EU-Gesetzgeber. 🙂
Twitter-Feedback 7. Mai 2019
Update 5.9.2019
Der EuGH ist in seinem heutigen Urteil – wie befürchtet – dem GA gefolgt: „Die Möglichkeit, per SEPA-Lastschrift zu zahlen, darf nicht von einem Wohnsitz im Inland abhängig gemacht werden“, so der Leitsatz. In der Pressemitteilung heißt es weiter:
„Dabei spielt es keine Rolle, dass die Verbraucher alternative Zahlungsmethoden, wie etwa Kreditkarte, PayPal oder Sofortüberweisung, nutzen können. Zwar können die Zahlungsempfänger frei wählen, ob sie den Zahlern die Möglichkeit einräumen, im SEPA-Lastschriftverfahren zu zahlen. Wenn sie aber diese Zahlungsmethode anbieten, dürfen sie diese – entgegen der Auffassung der Deutschen Bahn – nicht an Voraussetzungen knüpfen, die die praktische Wirksamkeit des Verbots beeinträchtigen würden, dem Zahler vorzuschreiben, dass er sein Konto in einem bestimmten Mitgliedstaat führt.
Außerdem hindert einen Zahlungsempfänger nichts daran, das Missbrauchs- oder Zahlungsausfallsrisiko zu verringern, indem er z. B. die Fahrkarten erst liefert bzw. deren Ausdruck ermöglicht, nachdem er die Bestätigung über den tatsächlichen Einzug der Zahlung erhalten hat.“
Also: Ware demnächst erst verschicken, wenn das Geld auf dem Händlerkonto gutgeschrieben wurde und die Frist abgelaufen ist, in der eine Online-Lastschrift (ohne schriftliches Mandat) nicht mehr zurückgerufen werden kann. Das sind afaik 13 Monate.
Nach meiner ersten panischen und dann journalistisch aufgesexten Einschätzung ist dieses Urteil das Ende der Online-Lastschrift in Europa. Eine europaweite Bonitätsprüfung im Vorfeld ist für Händler und Dienstleister schlechterdings nicht darstellbar. Daher muss künftig wohl gänzlich auf das Angebot von Online-Lastschriften verzichtet werden. Ein regulatorischer Unfall. Der Wille des Gesetzgebers der Geoblocking-VO war dies offensichtlich nicht. Der Gesetzgeber der SEPA-VO hatte die Problematik noch nicht vor Augen.
P.S.: Inzwischen ist auch die Urteilsbegründung des EuGH online. Relevant zum Verhältnis SEPA-VO und Geoblocking-VO sind insbesondere die Rz. 35 ff. Ich muss mir das am Wochenende nochmal in Ruhe anschauen, aber das sieht IMHO nicht gut aus für die bisherige Praxis. Der EuGH nimmt (Rz. 38) explizit Bezug auf die oben ausgeführte Argumentation des GA „Wie der Generalanwalt in den Nrn. 46 und 47 seiner Schlussanträge ausgeführt hat…“.
Reaktionen 6.9.2019
Von der Deutschen Bahn gibt es inzwischen eine Stellungnahme zum Urteil: „Da das EuGH-Urteil für alle Unternehmen gilt, werden die Auswirkungen den gesamten Online-Handel betreffen. Wir schauen uns genau an, was das Urteil für uns und unsere Kunden bedeutet. Wir wollen natürlich weiterhin kundenfreundliche Zahlungsmöglichkeiten im Internet anbieten“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.
HDE-Zahlungsverkehrsexperte Ulrich Binnebößel äußerte sich auf Twitter zur Debatte: „Erstmal die Kirche im Dorf lassen. Es wurde geurteilt, dass die Online-Lastschrift nicht nur am Wohnsitz-Land hängen darf. Die Ablehnung nach Risikoabwägung steht nicht in Frage. Aber das Urteil trägt zur Unsicherheit erheblich bei, soviel ist klar. Es stellen sich Folgefragen“.
Eine Folgefrage wäre etwa: Inwieweit (bildlich gesprochen) müssen Händler bzw. Dienstleister Einblicke in ihre Scoringprozesse geben, um den Verdacht der IBAN-Diskriminierung zu entkräften.
Der Bundesverband eCommerce und Versandhandel sieht das Urteil dagegen nicht ganz so tiefenentspannt wie der HDE:
„Der EuGH hat mit dem Urteil also keinerlei Verbesserung für den Crossborder-Onlinehandel erreicht, sondern lediglich die Prozesse im Onlinehandel unnötig erschwert. Online-Zahlungen mit der Kreditkarte werden schon bald durch die erforderliche Zwei-Faktor-Authentifizierung für Kunden und Händler aufwändiger. Zusätzlich wird es nun unmöglich, auf die beliebte Online-Lastschrift auszuweichen. Das ist ein Bärendienst für den Onlinehandel.“
Pressespiegel
Das Handelsblatt hat die Diskussion zum Urteil und den Folgen für die Online-Lastschrift hier gut zusammengefasst. Auch der Newsletter „Finanz-Szene.de“ (Pflichtlektüre für die Bankwelt) fragt „Aus für die Online-Lastschrift?“. Bei den „digital pioneers“ von t3n formuliert eCommerce-Fuchs Jochen G. Fuchs bereits einen Nachruf unter dem Titel „Auf Wiedersehen Lastschrift, es war schön mit Dir„. Alle Beiträge zitieren aus dem obigen Beitrag, wie ich aus Gründen des Eigenmarketings nicht verschweigen mag. 🙂
Mal aus der Sicht des Verbrauchers gesehen: Solche *-Blocking-Aktionen (egal, ob SEPA- oder Geo- oder sonstwas) sind einfach NUR nervig und in einem vereinten Europa absolut nicht mehr zeitgemäß. Ich kämpfe da auch immer wieder an mehreren Fronten gleichzeitig. Z.B. die große französische Supermarktkette „Casino“ bietet eine Handy-App an (u.a. für Marktsuche/Öffnungszeiten, aktuelle Werbung, Rabattcoupons und Bezahlfunktion). Erst seit einiger Zeit kann man die im Google Play Store überhaupt auf ein deutsches Handy laden (vorletztes Jahr kam da noch „Diese App ist für Ihr Gerät nicht geeignet“). Damit man mit der App auch bezahlen kann (was netterweise 1% Rabatt gewährt), kann man seine Kreditkarte hinterlegen. Bis Februar diesen Jahres wurden nur französische Kreditkarten akzeptiert; ausländische Karten wurden (mit einer irreführenden Fehlermeldung) abgewiesen. Erst nach einer Intervention meinerseits („die EU hat Geoblocking doch verboten, nicht wahr?“) gehen jetzt endlich auch deutsche Kreditkarten.
Derweil hätte man natürlich als Ausweichlösung auf die Idee kommen können, die Casino-eigene (französische!) Kreditkarte zu bestellen, aber in das Bestellformular für die Karte muss man zwangsweise seine Handynummer eintragen, und raten Sie mal, wie die aussehen muss: Zehn Ziffern, die mit „06“ beginnen. Mit „+49“ hat man schon verloren.
Wäre noch die Ausweich-Ausweich-Lösung „französische SIM-Karte“ geblieben (um eine französische Handynummer zu haben, um damit eine französische Kreditkarte bestellen zu können). Das hatte ich dann nicht mehr probiert (kostet ja auch alles Geld). Wobei ich ja befürchte, dass man für die Bestellung einer französischen SIM-Karte eine französische Postleitzahl (oder so ähnlich) braucht… jedenfalls hatte ich diese „unendliche Geschichte“ dann vorerst mal abgebrochen (und inzwischen geht ja auch die deutsche Kreditkarte).
Bleibt aktuell noch das französische Finanzamt: Wenn man seine Steuern dort (modern auf der Website per Lastschrift!) bezahlen will, kann man den aktuellen Steuerbescheid mit einer deutschen IBAN einmalig bezahlen; versucht man dagegen, einer Dauer-SEPA-Mandat dafür anzulegen, erscheint die Fehlermeldung, dass die IBAN 27 (also französische) Zeichen lang sein muss… seufz!
Die Handy-App von Casino. Danke, dass Sie hier die wirklich wichtigen Dinge thematisieren, Herr Hanft. So bleibt uns die Auseinandersetzung mit Nebensächlichkeiten wie Privatautonomie, dem freien Markt oder hirnentkernter Überregulierung aus Brüssel erspart.
Hallo Herr Schmolz, danke für Ihren Sarkasmus. Sie finden es also in Ordnung (und vom EU-Verbraucher einfach so hinzunehmen), dass die EU einen einheitlichen Zahlungsverkehrsmarkt vorschreibt (SEPA, Anti-Geoblocking); dass Händler & Co. jedoch alles daransetzen, diese Verordnungen zu ignorieren, zu unterlaufen und zu sabotieren, wo und wie es nur irgend geht?
Wenn Sie Ihr Lebtag nicht über Niederkaltenkirchen hinausgekommen sind, mag das ja für Sie in Ordnung sein – ich als Welt-(oder zumindest EU-)Bürger finde die aktuelle Situation unerträglich und werde ein solches Verhalten weiterhin bei jeder Gelegenheit anprangern!
In der Hoffnung, die „Diskussion“ wieder etwas zu versachlichen: Die Geoblocking-VO zwingt Onlinehändler, Bestellungen aus ganz Europa entgegenzunehmen – zu gleichen Bedingungen. Die VO erkennt explizit an, dass dies beim Thema Payment zu Problemen führen kann und sieht deshalb Ausnahmeregelungen vor. Der Generalanwalt des EuGH sagt nun (vermutlich rechtlich nicht zu beanstanden), interessiert alles nicht: Es gilt die SEPA-VO und deshalb muss zB der Lastschrifteinzug von Portugal bis Kreta akzeptiert werden, wenn man in Deutschland anbieten will. Ich halte das durchaus für diskussions- bzw. kritikwürdig. 🙂
Hallo Herr Bender (und Herr Scholz), ich sehe ja durchaus ein, dass etliche Feinheiten der angesprochenen Regelungen Fallstricke für Online-Händler haben können, aber wenn mir (als deutschem Kunden!) ein deutscher Online-Händler bei Lastschrift- bzw. Kreditkartenzahlung sinngemäß anzeigt „Sie können hier nicht einkaufen, weil Sie ein französisches Bankkonto / eine französische Kreditkarte haben“, steigt mein Adrenalinspiegel um 200%. Was geht das den Händler an, wo ich mein (EU-)Konto habe? Ich bin Deutscher und kaufe bei einem deutschen Händler ein. Falls es dabei Zahlungsprobleme geben sollte, kann der Händler mich genauso vor einem deutschen Gericht verklagen und mir genauso einen Gerichtsvollzieher schicken als wenn ich ein deutsches Konto / eine deutsche Kreditkarte gehabt hätte. *Das* ist es, was mich ärgert – die Casino-App ist mir wurscht, aber diese Kleinstaaterei („Lastschriften sind nur von deutschen Konten möglich“ – hierzulande SEHR oft so gesehen – sogar bei Behörden und Versicherungen!) widerspricht einfach dem grundsätzlichen Geist der EU.
Vielleicht bin ich da einfach nur zu sehr (EU-)Idealist?! Aber dann könnten wir uns Dinge wie die SEPA-Verordnung auch gleich sparen, wenn die eh keiner befolgt…
Hallo Herr Hanft, gewiss sind Sie kosmopoliter als ich. Lassen Sie uns aber gern die unnötig persönliche Ebene ganz schnell wieder verlassen. In der Sache bin ich tatsächlich anderer Auffassung als Sie. Denn zumindest mir (als überzeugtem Europäer!) genügt der schlichte Verweis auf die Existenz einer europäischen Regulierung keineswegs, um diese nicht zu hinterfragen. Bei Lichte betrachtet sind sowohl die SEPA-VO als auch die Geoblocking-VO technokratische Instrumente, deren schädliche Nebenwirkungen den jeweils intendierten Nutzen deutlich überwiegen. Dass Unternehmen bei ernsthafter Lesart der Rechtsakte keine Alternative verbleibt, als die Lastschrift aber auch andere, hierzulande beliebte Bezahlverfahren, wie etwa den Kauf auf Rechnung, schlichtweg nicht mehr anzubieten, ist zumindest nach meinem Verständnis ein Aspekt von weitreichenderer Bedeutung, als die Frage, ob ich irgendwo in der EU eine App nutzen kann. Das kann man aber offenkundig auch anders sehen. Besten Gruß!
Hallo Herr Hanft, das Interesse an der Belegenheit Ihres Bankkontos ist nicht etwa der voyeuristischen Neugierde der Händler geschuldet, sondern den Compliancepflichten, denen sie unterliegen (vgl. z.B. § 130 OWiG). Und; letzter Satz von mir zu diesem Thema, ich wage die Prognose, dass Sie Ihre Meinung zur Durchsetzbarkeit einer Forderung im EU-Ausland revidieren, wenn Sie einmal versucht haben, eine Forderung in Rumänien (kein Redlining!) durchzusetzen. Beste Grüße
Hallo Herr Schmolz, Sie haben natürlich vollkommen recht, was die Durchsetzbarkeit von Forderungen in Rumänien anbelangt – aber ich möchte ja lediglich gerne als _Deutscher_ bei einem _deutschen_ Online-Shop_ mit einem rumänischen Bankkonto per Lastschrift einkaufen können. Da muss der deutsche Online-Händler seine Forderung rein deutsch gegen mich durchsetzen – denn ob er die Lastschrift-Retoure von einer deutschen oder einer rumänischen Bank kriegt, ist in diesem Fall schnurzpiepegal. Und nur _darum_ geht’s mir.
Manche Onlineshops umgehen das Problem in dem sie nur das in ihrem Land vorkommende IBAN Format erlauben. Da die IBAN in den meisten EU Ländern unterschiedlich lang sind, kann man mit der deutschen IBAN dort nie einkaufen, weil diese immer viel zu lang ist. Wer glaubt das man in der EU einheitlich bezahlen kann, hat nie im Ausland gearbeitet
Aus meiner Sicht ist es noch ein wenig zu früh, um über den EU-Gesetzgeber zu schimpfen. Wenn man sich den Wortlaut der SEPA-Verordnung und der Geoblocking-Verordnung anschaut, dann steht dort – sehr stark vereinfacht ausgedrückt – Folgendes:
– Die SEPA-Verordnung verbietet die Diskriminierung von Konten, und zwar ausnahmslos.
– Die Geoblocking-Verordnung verbietet die Diskriminierung von Personen anhand des Kriteriums des Aufenthaltsortes der Person. Für dieses Verbot sollen jedoch Ausnahmen möglich sein.
Das in dem Beitrag beschriebene Dilemma resultiert daraus, dass der Generalanwalt nicht mit dem Gesetzeswortlaut argumentiert, sondern die SEPA-Verordnung über den Wortlaut hinaus auslegt. Das schreibt der Generalanwalt unter Tz. 26 seines Schlussantrages. Genau genommen wendet der Generalanwalt den Artikel 9 Absatz 2 der SEPA-Verordnung analog an (auf Diskriminierungen von Personen, die sich an einem bestimmten Ort aufhalten). Zumindest die Juristen unter uns wissen, dass Analogien jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis nur zulässig sind, wenn es eine Regelungslücke gibt. Nachdem die Geoblocking-Verordnung eine Regelung für ortsabhängige Diskriminierungen enthält, frage ich mich, ob wir hier wirklich eine Regelungslücke haben. Ich denke, dass das nicht der Fall ist. Daher meine ich, dass der Generalanwalt falsch liegt. Insofern ist es spannend, ob der EuGH der Auffassung des Generalanwaltes folgt. Wenn er das tut, dann schimpfe ich gern auf den EU-Gesetzgeber mit :-). Man muss ihm meines Erachtens aber zumindest zugute halten, dass er es gut gemeint hat. Zudem hört er die Marktteilnehmer an, bevor er neue Gesetze erlässt…
Lieber Herr Walz, ich bin da nicht so optimistisch. Wenn man sich Fußnote 33 anschaut, ist wohl nicht zu erwarten, dass der EuGH überhaupt auf die Geoblocking-VO eingeht. („Es ist hervorzuheben, dass der Gerichtshof den in der mündlichen Verhandlung anwesenden Beteiligten … Gelegenheit gegeben hat, sich zu der möglichen Relevanz der Verordnung 2018/302 zu äußern. Ich für meinen Teil habe die mündliche Verhandlung mit der Überzeugung verlassen, dass die besagte Verordnung in der vorliegenden Rechtssache nicht herangezogen werden“.)
Bestenfalls bleibt das Verhältnis der beiden VOs nach dem Urteil also offen. So weit ich weiß, sieht aber beispielsweise auch die Wettbewerbszentrale den Fall ähnlich wie der GA und geht davon aus, dass die SEPA-VO nicht einfach durch die Ausnahmeregeln der Geoblocking-VO unterlaufen werden darf. Und die österreichischen Verbraucherschützer stehen sicher schon für den nächsten Musterprozess – dann zur Geoblocking-VO- bereit.
Wie sagte GA Szpunar so schön: „Der Unionsgesetzgeber hat damit seine Aufgabe erfüllt – und es steht ihm frei, Bestimmungen zu ändern, wenn diese sich seiner Ansicht nach z. B. als nicht praxistauglich erweisen.“
Ich fürchte, das Zusammenspiel von SEPA- und Geoblocking-VO wird Onlinehändler in der Praxis beim Thema „Online-Lastschrift“ in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Wenn der EuGH den Weg mitgeht, kann sich keiner mehr leisten, Lastschriften im Webshop anzubieten.
Und das erkennt im Grunde auch der GA so an: „Wenn ich auch die von der Deutschen Bahn vorgetragenen wirtschaftlichen Argumente verstehe, kann ich ihnen von rechtlicher Warte aus betrachtet nicht zustimmen.“ (Rz. 45) oder „Der Umstand, dass sich in der wirtschaftlichen Praxis kein Binnenmarkt für Informationen über Schuldner und Bonitätsprüfungen herausgebildet hat, stellt als solcher keine Rechtfertigung dafür dar, die hier in Rede stehende Wohnsitzanforderung zu stellen“. (Rz. 48)
Lieber Herr Bender,
ich gebe zu, dass der EuGH recht oft der Stellungnahme des GA folgt. Insofern kann ich Ihre Skepsis nachvollziehen. Mein Argument gegen die Auffassung des GA ist übrigens nicht die Anwendung der Geoblocking-VO, sondern der Wortlaut der SEPA-Verordnung, nach der lediglich die Diskriminierung von Konten verboten ist, nicht aber die Diskriminierung von Wohnadressen. Wenn man der Meinung des GA folgt, dann muss man gegen den Gesetzeswortlaut argumentieren…was man natürlich tun kann.
Danke für Aufnahme in Verteiler
Beste Grüße
Zum update vom 5. September:
Bei SDD übernimmt der Creditor/Begünstigte ganz einfach ein gewisses Risiko – ob nun 6 Wochen (mit Mandat bzw dann auch mit einer „Strong Customer Authorisation“) oder 13 Monate (ohne Mandat). Um das zu minimieren, bietet PSD2 nun auch diesen Risikoträgern an, mit der Kontoabfrage „Availability of Funds“ (Art. 65) nachzusehen, ob Geld am Konto ist.
Wer das nicht möchte, sollte eben nur direkte Zahlungsmöglichkeiten mit entweder finaler Buchung oder Garantieleistungen implementieren… in der Zwischenzeit soll es so etwas ja sogar schon geben 😉
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